aus dem Redemanuskript von Prof. Fredrik Schwenk
Kurt App und Almut Glinin: Simultan - eine Anordnung akustischer und visueller Elemente, Einführung zur Ausstellungseröffnung im Künstlerhaus Ulm, 17.Oktober 2003
.......Jetzt tritt das zweite große Thema in Erscheinung: Klang als eine Abfolge zufällig und asynchron geordneter Zeitspiralen; gestauchte, zerdehnte und übereinander gelagerte Texte oder deren Splitter in mehreren Sprachen.
Ich möchte Ihnen zunächst einige Kostproben in nicht simultaner Anordnung vorlesen, damit Sie einen Eindruck bekommen, wie viele Assoziationen und neue Wortschöpfungen ein einziges russisches Gedicht hervorbringen kann.
Der in Tundutowo, im Gouvernement Astrakhan, dem heutigen Kalmückien geborene Dichter Welemir Chlebnikow (1885 – 1922) war u.a. der Mitbegründer
der russischen Futurismus-Bewegung. Ähnlich wie James Joyce in Finnegans Wake oder Arno Schmidt in Zettels Traum gelingt es Chlebnikow, die Bedeutung von Wörtern über ihre konventionellen Begriffsbezüge hinaus auszuweiten bzw. durch Erfindung neuer Wörter andere als rein semantische Bezüge herzustellen, ohne jedoch in tiefenpsychologische Dimensionen vorzudringen. Das Gedicht die Heuschrecke reizte u.a. viele deutsche Dichter zu Nachdichtungen: hieraus einige besonders gelungene
Beispiele.
Vier Beispiele – Celan, Pastior, Jandl, Urban
In Kurt Apps Klanganordnung hören wir diese Texte simultan, im Raum verteilt, zur Mitte hin szenisch gebündelt. Dadurch entsteht einmal mehr neues, zufällig durchmischtes Assoziationspotential, das der Hörer, während er vom Glanz des Silbers geblendet wird, seiner eigenen Physiognomie der Wahrnehmung entsprechend begreift oder gerade eben nicht begreift. Ich glaube, es ist nicht wirklich entscheidend, ob derartige Wahrnehmungsprozesse bewusst, womöglich durch spezifische Kenntnisse
darüber intellektuell erfassbar oder unterbewusst, vielleicht rein emotional erfahrbar werden.
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